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Ursprünglich: Lilian Bleuler verwertet Schafswolle aus der Surselva

Es ist ein edler Rohstoff: Lilian Bleuler aus der Surselva verwertet Schafswolle. Diese ist ein vielfältiges und ursprüngliches Produkt.

Bündner Woche
08.10.23 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit

von Cindy Ziegler

Im Werkelzimmer, wie es Lilian Bleuler nennt, ist es warm und heimelig. Holzwände, ein knarrender Holzfussboden und viel Textiles. Da eine Wolldecke auf dem Sofa, dort ein farbiges Kissen. Selbst die Bilder an den Wänden, die verschiedene Verarbeitungsprozesse von Textilfasern zeigen, sind auf Stoff gespannt. Es ist nicht schwer, zu erraten, was Lilian Bleuler beruflich macht. Oder gemacht hat. Mittlerweile ist sie pensioniert, früher war sie Damenschneiderin und Modeentwerferin. Und heute? Heute verwertet die Zürcherin Schafswolle aus der Surselva, ihrem Herzensort. An jenem Donnerstagmorgen im September ist der Himmel über Curaglia blau, die Luft ist noch frisch. Und Lilian Bleuler begrüsst mit einem freundlichen Lachen, wachen Augen und einem frischaufgebrühten Pfefferminztee.

«Wolle ist ein unfassbar wertvolles Produkt.»
Lilian Bleuler

Sie wandert durch das Zimmer mit den vielen Textilien. Die Hände fühlen die dicken Wollknäuel, die Augen kontrollieren die Maschen der halb fertigen Mütze, der Strickarbeit, die auf dem kleinen Tisch liegt. Wie kommt's, dass sich die Zürcherin der Bündner Wolle verschrieben hat? «Wolle ist für mich eines der schönsten Materialien. Ein unfassbar wertvolles Produkt. Und wahnsinnig vielfältig», erklärt sie. Die Begeisterung steckt an. Das Ergebnis der Recherche: Schafswolle wärmt oder kühlt, sie reguliert Feuchtigkeit, reinigt sich selbst, ist nicht allergen und elastisch. Ein Wunderprodukt quasi. Warum also braucht es die Arbeit von Lilian Bleuler überhaupt?

Die Schweizer Wolle verlor seit den 60er-Jahren zunehmend an Wert. Die Landwirtinnen und Landwirten mussten immer mehr für die Schafschur und den Transport bezahlen. Meist mehr, als dass sie für die Wolle erhielten. Bis ins Jahr 2010 gab es vom Bund noch Subventionen. Als diese gestrichen wurden, lohnte es sich für viele Bäuerinnen und Bauern dann endgültig nicht mehr. Die Wolle wurde verbrannt. Denn geschoren mussten die Schafe so oder so werden. Vor einigen Jahren setzte sich die Organisation Swiss Wool für das Naturprodukt und die Menschen ein, die es herstellen. Heute ist der Verkauf von Rohwolle noch immer ein Minusgeschäft, aber immerhin finden die Bäuerinnen und Bauern Abnehmende. So wie beispielsweise Lilian Bleuler.

Wieder zur Wolle gefunden

Sie, die von der Mode kommt und durch die Wolle überhaupt erst zur Berufung gefunden hat, hat sie jetzt wieder entdeckt. Die Freude an der Wolle. An diesem vielfältigen und ursprünglichen Produkt. Dem Produkt, das so gut zu ihr, aber auch zur Surselva passt. Denn das mit der Surselva ist ebenfalls seit jeher eine grosse Liebe. Am Küchentisch duftet der Pfefferminztee noch immer wunderbar. Und Lilian Bleuler setzt sich an den Laptop. Sie zeigt Bilder von der Schafschur. Vom Sammeln der Wolle. Und vom Spinnen der Rohwolle. «Vom Waschen habe ich leider keine Bilder», sagt sie. Und führt durch den Prozess.

Zweimal im Jahr werden die Schafe geschoren.
Zweimal im Jahr werden die Schafe geschoren.
An Sammelstellen wird die Wolle zusammengetragen.
An Sammelstellen wird die Wolle zusammengetragen.
Dann wird die Rohwolle gewaschen und in der Spinnerei weiterverarbeitet.
Dann wird die Rohwolle gewaschen und in der Spinnerei weiterverarbeitet.

Zweimal im Jahr, im Frühling und im Herbst, werden die Schafe geschoren. Die Landwirtinnen und Landwirte bringen die rohe, ungewaschene Wolle dann zu Sammelstellen wie beispielsweise in Disentis. Dort wird die Wolle wie Heu zusammengepresst. Übrigens eine findige Idee des Distentiser Schafsbauer Marcus Berther. Rund 100 Kilo dieser Wolle nimmt Lilian Bleuler. Weniger kann sie nicht, weil die Spinnerei sie sonst nicht verarbeitet. Von der Sammelstelle kommt die Wolle dann ins Prättigau. In der Wollspinnerei Vetsch wird sie gewaschen und dann gekardet. Ein Vlies entsteht. Aus dem Vlies wird dann ein feines Vorgarn gewonnen. Und daraus werden mehrere Fäden zum Zwirn gedreht und auf Konen aufgewickelt. So holt Lilian Bleuler die Wolle dann wieder ab. Ungefärbt. So natürlich wie möglich. Weisse und dunkelbraune Knäuel, so wie die Schafe auf der Weide.

Verständnis für den Rohstoff

Der Prozess ist langwierig, das Produkt dafür auch langlebig. Und es hat Tradition in der Surselva. Lilian Bleuler will mit Launa Alpina diese Tradition hochhalten. Dem Wertstoff wieder Wert geben. «Alpaka. Merino. Kaschmir. Alles kommt aus dem Ausland. Nur langsam lernen die Menschen, wieder zu schätzen, was wir hier haben», sagt die Pensionärin nachdenklich. Man sei halt auch nicht mehr darauf angewiesen. Zu günstig ist Wolle, viel zu günstig das fertige Produkt. Sie selbst schätze die Qualität, die das Selbermachen einem Produkt gebe. «Ich glaube, dass man Freude haben muss am Tun. Und es braucht ein Verständnis für den Rohstoff. Wer das nicht hat, sollte gar nicht erst mit Stricken anfangen», sagt sie und streichelt sanft über die weisse, dicke Wolldecke, die auf dem Sofa liegt.

www.launa-alpina.ch

20 Jahre Schafschur Savognin

Auch in einem anderen Ecken Graubündens wird die Schafswolle hochgehalten. In Savognin gründete die einheimische Damenschneiderin Lucia Netzer-Peduzzi 2003 das Atelier Pôss und verarbeitet dort seither reine Schafswolle. 2004 wurde von jener Schneiderin zum ersten Mal die öffentliche Schafschur, die Tundeida, durchgeführt. Das Interesse war gross, dass sich daraus ein traditioneller Anlass entwickelte. Seit 2014 ist der Bauernverein Albula für den Anlass, der heuer sein 20-Jahre-Jubiläum feiert, verantwortlich. Am 7. Oktober ist es nun wieder soweit. Ab 10.30 Uhr mit Markt, um 11 Uhr ziehen die Schafe auf die Plazza Grava in Savognin und werden dort geschoren. Übrigens: Ein geübter Schafscherer, eine geübte Schafschererin benötigt rund 32 Züge, um ein Schaf zu rasieren. Oftmals dauert das pro Tier weniger als zwei Minuten und ergibt zwischen zwei und vier Kilo geschorene Wolle.

Weitere Infos zur Schafschur und zum Rahmenprogramm: www.valsurses.ch.

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