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Ein Bündner Liebesgeständnis an die Glarner Landsgemeinde

Was passiert, wenn ein Bündner an der Glarner Landsgemeinde teilnimmt? Claudio Candinas von «suedostschweiz.ch» hat den «Ring» betreten und sich Hals über Kopf verliebt.

07.05.18 - 11:30 Uhr
Ereignisse

Ich muss zugeben, es fühlte sich in etwa so an, als würde ich wieder mal auf die traditionelle Churer Maiensässfahrt gehen. Einfach 20 Jahre älter. Ein Gefühlscocktail von Spannung, Freude und etwas Nervosität breitete sich in Windeseile in mir aus, als der Wecker am Sonntagmorgen um 7 Uhr klingelte und mich aus meinem spärlich ausgefallenen Schlaf riss.

Doch mich erwartete weder eine Wanderung auf den Churer Mittenberg noch ein Grillplausch am Rhein. Ich würde noch heute etwas ganz Besonderes von meiner «Bucket-List» streichen können: Den Besuch an der Glarner Landsgemeinde. Dementsprechend motiviert machte ich mich auf den Weg zu unseren Kantonsnachbarn, wo ich später am Fusse des Glärnisch im «Ring» stehen sollte, um die Landsgemeinde hautnah zu erleben.

Nur keine Aufregung

Mein personifizierter Schlüssel zum «Ring» war unser werter Glarner Arbeitskollege Sebastian Dürst. Er würde mich in Empfang nehmen und mir die wichtigsten Punkte der Landsgemeinde im Vornherein erklären, sodass ich das Ereignis in vollen Zügen und ohne Stirnrunzeln geniessen könnte – oder mich zumindest nicht zum Affen machen würde.

So traf ich Sebastian kurz nach 8.30 Uhr vor dem Medienhaus in Glarus, wo er mir gleich einen kleinen rosaroten Zettel in die Hand drückte und meinte: «Das hier ist eigentlich das Wichtigste. Damit kannst Du gleich mit uns in den Ring stehen und musst das Ganze nicht von aussen betrachten». Okay, das nenne ich Gastfreundschaft! Hier wird nicht lang gefackelt, sondern die Gäste dürfen gleich am Geschehen teilhaben. Sehr schön. Ausgerüstet mit Laptop, Handy und der rosaroten Akkreditierung machte ich mich geführt von meinem Glarner Kollegen auf Rekognoszierung des Fest- und Stimmgeländes – sprich eigentlich der ganzen Stadt.

Das Eintrittsticket zum Glück.
Das Eintrittsticket zum Glück.

«Wir gehen jetzt die Hauptstrasse lang, also die Strasse, die mitten durch ganz Glarus führt. Diese ist genau während drei Anlässen im Jahr gesperrt: An der Landsgemeinde, am ‚Sound of Glarus‘ und an der Fasnacht». Okay, kann man machen. Ich stellte mir jedoch vor, was in Chur geschehen würde, wenn die Ring- und Kasernenstrasse für einen ganzen Tag gesperrt wären. Das absolute Chaos würde ausbrechen!

Aber nicht in Glarus. Hier, wo man die Dinge etwas gemütlicher angeht, sah ich morgrnens Passanten durch die Chilbi (bei uns nennt man das übrigens Karussell) schlendern, sie frühstückten auf den Bänken vor der Bäckerei oder hielten im Restaurant neben dem «Ring» am Landsgemeindeplatz einen Frühschoppen ab. Wieso auch nicht? Die Stimmung war festlich und die kleine Stadt hatte mein Herz mit dem ersten Duft von gebrannten Mandeln im Sturm erobert. «Wieso können wir aus Abstimmungssonntagen nicht auch ein Volksfest mit Magenbrot, Bratwürsten und diesen lustigen Handyhüllen-Ständen machen?», dachte ich mir zugegebenermassen etwas neidisch. Doch keine Zeit für Gefühlsduseleien, ich war schliesslich zum Arbeiten hier und nicht, um mich der Völlerei hinzugeben – noch nicht.

Der Kreis des Vertrauens

Nachdem uns unsere Erkundungstour auf die Sende-Terrasse von TV Südostschweiz, in die Ticker-Stube unserer Glarner Kollegen sowie zum Bäcker am «Ring» (A Kafi und a Gipfali bitte – zwei Mol!) führte, erklärte mir Sebastian Dürst die wichtigsten Eckpunkte der Abstimmungen: Das Recht, im Ring abzustimmen, hat jede in Glarus wohnhafte und stimmberechtigte Person ab 16 Jahren. Die älteren Stimmbürgerinnen und -bürger dürfen in der Mitte sitzen, der Rest steht im Ring. Es gebe keine vorgegebene Steh-Ordnung, so Sebastian. Aber es habe sich mit den Jahren eingebürgert, dass die meisten Leute immer am selbem Platz stehen würden. Und ich sollte dieses Jahr also auch auf den Brettern stehen, die – mindestens den Glarnern – die Welt bedeuten. Und zwar mit Sebastian und seiner Entourage in der «Dürüm Kurve».

Ohne jetzt pathetisch zu wirken – ich fühlte mich wirklich sehr geehrt, mitten im Kreis der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger stehen zu dürfen. Schliesslich handelt es sich bei der Landsgemeinde nicht um einen Spass-Akt, sondern um die wohl transparenteste Art der demokratischen Abstimmung. «Hier musst Du zu Deiner Meinung stehen», so Sebastian. Und dass die Glarnerinnen und Glarner das mit Stolz tun, würde ich in Kürze erfahren.

Die Sonne brennt, die Sprüche sitzen

Kurz vor 10 Uhr startete die Landsgemeinde mit der offiziellen Ansprache und der Schilderung der Vorschriften. Schliesslich soll ja alles mit rechten Dingen zu und her gehen.

Vor dem Abstimmungs- und Wahlprozedere werden die Vorschriften verlesen.

Und dann ging es Schlag auf Schlag. Die Wahl von Andrea Bettiga zum Landammann war in gefühlten 30 Sekunden besiegelt. «Reine Formsache», flüsterte mir Sebastian zu. Okay, das ging mir jetzt doch etwas zu schnell. Ich war doch mental gar noch nicht bereit dafür!? Glarus scheint gar nicht so verschlafen, wie der voreingenommene Bündner denken würde. Im Minutentakt streckten Personen links und rechts von mir, vor und hinter mir ihre Stimmrechtsausweise in die Luft und bekannten Farbe — zu insgesamt 14 Traktanden. Die haben Stehvermögen, die werten Glarner. Von kritischen Blicken in den Rängen keine Spur. Hier steht man wirklich zu seinem Wort und akzeptiert die Meinung der anderen stillschweigend bis maximal ein wenig rumorend. Respekt!

Das Gesetz der Landsgemeinde schreibt es vor, dass der Landammann die Stimmzettel vom Rednerpult aus durch einen Blick in die Ränge prüft und das Ergebnis direkt bekannt gibt. Ja, der macht das sozusagen vom Schiff aus. Und mit welcher Ruhe er das macht! Bewundernswert, wenn man bedenkt, dass seine Einschätzung letztlich zählt. Sollte das Ergebnis für den Landammann nicht eindeutig sein, wird eine Wiederholung fällig, bei der vier Regierungsräte das Rednerpult betreten, die Ecken flankieren und bei der Wiederholung ebenfalls den «Ring» betrachten und auswerten (Nachtrag: Ich Unwissender wurde von einer aufmerksamen Person aus Glarus darauf hingewiesen, dass die Regierungsräte nicht jeweils nur einen Viertel des Rings betrachten würden, sondern ebenfalls die gesamte Stimmbürgerschaft im Ring auswerten. Danke für den Hinweis!). Dass auch dies nicht immer zu einem klaren Ergebnis führt, durfte ich in der ersten Viertelstunde meiner ersten Landsgemeinde gleich selbst erleben. Die Regierungsräte mussten gleich zwei Mal in Folge ans Werk. Ansonsten fungierte der Landammann als der Tätschmeister auf dem Platz – und zeigte, dass bei einer Landsgemeinde der Humor nicht fehlen darf. Auch hierfür meine Hochachtung.

Der Landammann hat das Sagen – und das ist anscheinend auch gut so.

Abstimmung geht durch den Magen

Als hätte mich das Wahl- und Abstimmungssystem per se nicht schon sehr stark beeindruckt, offenbarte mir Sebastian, dass an der Landsgemeinde traditionell Kalberwurst mit Kartoffelstock, Zwiebelsauce und Dörrzwetschgen serviert wird – und zwar in jedem Restaurant. Die Landsgemeinde hat ihr eigenes Menü —dr füdliplutt Wahnsinn!

Um mich wars an dieser Stelle definitiv geschehen. Doch die Ernüchterung sollte auf der Stelle folgen. Ohne Reservation in einem der Restaurants war es ein Ding der Unmöglichkeit, die Leckerei vor Ort zu verkosten. So tröstete ich mich letztlich mit ein, zwei Süssigkeiten von den Marktstäden an der Hauptstrasse. Und dort fand ich übrigens auch ihn, den wohl einzigen Mann, der heuer an der Landsgemeinde wirklich etwas in die Röhre kucken musste: Ein Schirmverkäufer, der in den vergangenen Jahren immer auf Petrus’ Hang zum Giessen vertrauen konnte und nun bei sommerlichem Wetter auf seinen – zugegebenermassen – äusserst vielfältigen Schirmkreationen sitzen zu bleiben schien.

Er dürfte dieses Jahr wohl mit Umsatzeinbussen rechnen müssen...
Er dürfte dieses Jahr wohl mit Umsatzeinbussen rechnen müssen...

Keine Sorge, mein Lieber, auch in Glarus regnets mal wieder. Aber nicht an diesem 6. Mai – einem der schönsten Arbeitsausflugs-Tage meines Lebens. Oder um es mit den Worten des Landammanns zu sagen…

Auch ein Landammann steht an der Landsgmeinde immer wieder vor neuen Situationen.

Unser Tourguide und aktuell Chef vom Dienst der Redaktion Glarus, Sebastian Dürst, gibt den Daumen hoch. Die Landsgemeinde kann also losgehen.

Posted by Südostschweiz on Sunday, May 6, 2018

Und nun zurück im Büro in Chur: Ich bedanke mich bei Sebastian Dürst (der adrette Herr in der Mitte des Bildes) für die Gastfreundschaft und möchte Euch, lieben Glarnerinnen und Glarnern (oder wie Ihr es untereinander zu sagen pflegt «Hochvertruuti liäbi Mitlandlüüt»), ein Kompliment aussprechen für einen der schönsten, traditionsreichsten und festlichsten Anlässe, die man sich nur vorstellen kann.

Stellt Euch vor es wird abgestimmt – und alle gehen hin!

Für alle, die wissen möchten, wie die Ergebnisse der insgesamt 14 Traktanden ausgefallen sind und was rund um die Glarner Landsgemeinde sonst noch geschehen ist, haben wir alle Infos inklusive Livestream im folgenden Artikel zusammengetragen.

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