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Letzte Tage in Grün

Nach 23 Jahren stehen meine allerletzten vier Diensttage für die Armee an. Die zweitlängste Mitgliedschaft meines Lebens.

09.08.23 - 16:30 Uhr
Ein letztes Mal: Ich packe meinen Rucksack und nehme mit …
Ein letztes Mal: Ich packe meinen Rucksack und nehme mit …
Bild David Eichler

«OK Boomer» versus «Wa hesch denn du scho erlebt du huere Banane?» Im Blog «Zillennials» beleuchten Vertreterinnen der Generation Z, Nicole Nett und Anna Nüesch, und die Millennials David Eichler und Jürg Abdias Huber in loser Folge aktuelle Themen. Im Idealfall sorgen die vier damit für mehr Verständnis zwischen den Generationen. Minimal hoffen sie, für etwas Unterhaltung, Denkanstösse und den einen oder anderen Lacher zu sorgen.

In den kommenden Tagen werde ich ein letztes Mal im Tarnanzug zum Militärdienst einrücken. Ein paar Wochen später dann ein letztes Mal im Ausgangsanzug zu meinem allerletzten Brigaderapport antreten. Damit wird ein Kapitel meines Lebens zu Ende gehen, das vor 23 Jahren, am 28. April 2000, mit meiner Aushebung in Ilanz begonnen hat. Damals absolvierte ich diesen Pflichttermin nicht sonderlich motiviert. Ich hatte kaum Bezug zur Armee. Die Armee-Erlebnisse meiner Verwandtschaft waren entweder nicht vorhanden oder ich hatte sie nur am Rande mitbekommen. Ich wusste nicht, zu welcher Truppengattung ich wollte, machte an meinem ersten Tag bei der Armee Dienst nach Vorschrift und gab mir entsprechend keine besondere Mühe. Den Medizinball warf ich seitlich an die Turnhallenwand, und beim 12-Minuten-Lauf spazierte ich oder machte Purzelbäume, um meine zuschauenden Kollegen zu unterhalten. Ich verpasste das Sportabzeichen um drei Punkte, was mich dann doch etwas ärgerte.

Ausser in meiner Familie war ich bisher nirgends länger Mitglied als bei der Schweizer Armee. Ich werde am Ende meiner Dienstzeit 529 Tage im Militärdienst verbracht haben. Das ist, verglichen mit anderen Offizieren in meinem Alter, eine eher tiefe Zahl. Ich bin Fachoffizier in der Kommunikation und habe meine Funktion ohne Offiziersschule oder Stabslehrgänge erlangt. Dennoch wage ich zu behaupten, dass ich die Armee ziemlich gut kennengelernt habe. Nebst meiner Funktion als Milizoffizier habe ich gut neun Jahre auch für die Armee gearbeitet. In der Kommunikationsausbildung und in der Truppenkommunikation.

Wenn ich so zurückblicke, habe ich viele tolle und ein paar mühsame Erinnerungen an die Zeit. Ich war nie mehr so fit wie nach der Rekruten- und Unteroffiziersschule. Ich habe viele tolle Menschen kennengelernt und bin dem einen oder anderen mühsamen Zeitgenossen über den Weg gelaufen. Genau wie im echten Leben. Ich habe mich zu Beginn meiner Dienstzeit regelmässig mit Blasen an den Füssen und dem Wolf rumgeschlagen. Wobei ich hier nicht das Raubtier, sondern wunde Oberschenkel vom Marschieren meine. Ich habe im Regen irgendwo mit meiner Gruppe ein Biwak aufgebaut und am eigenen (regennassen) Leib erfahren, warum man sich dabei am Mooswachstum bei Bäumen orientieren sollte (Richtung, aus der der Regen kommt.) Ich hatte die besten «Hörnli mit Ghacktem» aus der Gamelle, und selten fühlte sich eine Zigarette besser an als auf einem Marschhalt oder nach dem Einsatz im Felddienst. Ich wurde selbstständiger und lernte auch, nicht nur für mich, Verantwortung zu übernehmen. Ich bildete als junger Mensch junge Menschen aus und führte sie. Ich kam an meine eigenen physischen und psychischen Grenzen und musste gleichzeitig dafür sorgen, dass wir gemeinsam unser Ziel erreichten – und sei es nur, auf dem Marsch rechtzeitig beim nächsten Posten anzukommen.

Je weiter ich in meiner Milizkarriere aufstieg, desto mehr verschoben sich die Erinnerungen und Erfahrungen vom Körperlichen ins Kognitive. Ich wechselte in eine französischsprachige Brigade, verbesserte dadurch meine Französischkenntnisse und lernte die Westschweiz etwas besser kennen. Ich übernahm eine Funktion, in der ich mein ziviles Wissen für meinen grossen Verband einbringen konnte. Ich schrieb erklärende und möglichst unterhaltsame Texte, berichtete über Einsätze, grosse und kleinere Übungen, drehte Clips, plante künftige Kommunikationsmassnahmen und die Einsätze meines Teams. Ich tat, was ich im Beruf auch tue. Ich koordinierte zwischen Vorgesetzten und Unterstellten, führte hin und wieder auch schwierige Gespräche und schaffte es, gemeinsam mit meinem Team Aufträge zu erfüllen und dabei die Stimmung im Team und damit auch die Motivation möglichst hoch zu halten. Je länger meine Militärkarriere dauerte, desto häufiger traf ich tolle Leute, von denen ich lernen konnte, mit denen ich mich verstand und mit denen ich auf ein gemeinsames Ziel hin zusammenarbeiten konnte. Die Aufgaben wurden spannender, das Umfeld angenehmer und die Erfahrungen wertvoller.

Über Sinn, Notwendigkeit, Auftrag und Finanzierung der Armee wird permanent diskutiert. Den einen kann die Armee nicht gross und teuer genug sein, die anderen würden sie am liebsten komplett abschaffen. Gefühlt jede und jeder hat eine Meinung zum Thema. Basierend auf eigener Erfahrung oder auf Hörensagen. Ich masse mir nicht an, die politische Grosswetterlage oder die Absehbarkeit eines bewaffneten Konflikts in unmittelbarster Nähe richtig und abschliessend einschätzen zu können. Das ist nicht meine Aufgabe. Da gibt es massenweise Menschen mit besserer Expertise – oder zumindest mit der Überzeugung, das besser einschätzen zu können. Ich bleibe in meinem Kompetenzbereich: meinen Erfahrungen. In den letzten 23 Jahren habe ich mich – so hoffe ich doch – in vielerlei Hinsicht weiterentwickelt. Die Armee hat nicht unwesentlich dazu beigetragen, und dafür bin ich dankbar. Hätte mir jemand im April 2000 gesagt, dass ich 23 Jahre lang Militärdienst leisten werde, wäre ich wohl rückwärts aus den noch nicht vorhandenen Kampfstiefeln gekippt. Heute bin ich ehrlich stolz darauf und froh darüber.

Erfahrungen können von vorne bedrohlich wirken wie glatte, gefährliche und unendlich hohe Felswände. Irgendwann steht man aber an deren oberem Ende, dreht sich um und blickt mit Stolz, etwas Wehmut und Verklärung zurück – bevor man sich an die nächste Felswand macht.

In diesem Sinne ein allerletzter Drei-Punkte-Befehl:

  1. Ziel: Gipfel der Felswand!
  2. Weg ins Ziel: über Erfahrungen, Rückschritte, Erkenntnisse und Efforts!
  3. Verhalten im Ziel: umdrehen, stolz sein, weiterklettern!
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