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Der Dämon Depression und tiefe Dankbarkeit

Unser Autor lebt seit einigen Jahren mit Depressionen. Seit der Diagnose hat er viel über sich und sein Umfeld gelernt. Einiges teilt er hier mit euch.

22.11.23 - 16:30 Uhr
Um Hilfe bitten: Man muss nicht alleine durch den dunklen, kalten, kargen Wald.
Um Hilfe bitten: Man muss nicht alleine durch den dunklen, kalten, kargen Wald.
Bild Freepik

«OK Boomer» versus «Wa hesch denn du scho erlebt du huere Banane?» Im Blog «Zillennials» beleuchten Vertreterinnen der Generation Z, Nicole Nett und Anna Nüesch, und die Millennials David Eichler und Jürg Abdias Huber in loser Folge aktuelle Themen. Im Idealfall sorgen die vier damit für mehr Verständnis zwischen den Generationen. Minimal hoffen sie, für etwas Unterhaltung, Denkanstösse und den einen oder anderen Lacher zu sorgen.

Ich habe Depressionen. Wahrscheinlich schon mein Leben lang. Ich kann mich daran erinnern, dass ich bereits in meiner Kindheit Phasen durchlebte, in denen sich eine ungeheure und unerklärliche Schwermut wie ein schwarzer Schleier über mein Gemüt und auf meinen Körper legte. Ich verstand das nicht. Konnte es mir nicht erklären. Sobald eine solche Phase vorbei war, dachte ich nicht weiter daran, bis dann irgendwann die nächste kam.

Jahrelang lebte ich damit, ohne zu wissen, was mit mir los war. Ich war halt manchmal sehr nachdenklich und hin und wieder ausserordentlich traurig und schwermütig. Ich fand nicht die Worte, um zu beschreiben, was in mir vorging. Ich hatte weder das Wissen noch das Bewusstsein dafür. Depressionen waren kein Thema, das so offen angesprochen wurde, wie dies heute der Fall ist.

Depressionen waren kein Thema, das so offen angesprochen wurde, wie dies heute der Fall ist.

Irgendwann wurde mir der Leidensdruck zu gross. In einer Phase voller Selbstzweifel und damit verbundenem Selbsthass nahm ich – auch dank eines Freundes – Kontakt mit meinem heutigen Therapeuten auf. Er diagnostizierte meine Depression, stellte mir die richtigen Fragen und gab mir plausible Antworten auf meine. Endlich hatte ich etwas, an dem ich mich orientieren konnte. Der Nebel klärte auf. Ich verstand (mich) besser, konnte mir Situationen aus meiner Kindheit erklären und fand – auch durch die richtige Medikation – weniger selbstzerstörerische Wege, mit meiner Schwermut umzugehen.

Das ist etwa 15 Jahre her und ich lebe noch immer mit meinem Dämon. Das wird wohl auch für den Rest meines Lebens so bleiben. Ich habe Phasen, in denen einfach nichts geht. Totale emotionale Erschöpfung. Ich bekomme nichts auf die Reihe, verurteile mich dafür und gerate so Schritt für Schritt in ein tiefes, dunkles Loch. Das sind dann Tage, die ich meist nur im Bett verbringe, mein Schlafzimmer abdunkle und mich in meiner emotionalen Hölle verkrieche. Bis jetzt hatte ich das Glück, nach einer gewissen Zeit jeweils wieder aus diesem Loch herauskriechen zu können, mich an kleinen Erfolgen, Freuden und Ablenkungen aus dem Morast meiner depressiven Tiefen zu ziehen und wieder im Alltag funktionieren zu können.

Ich gehe offen mit meinen Depressionen um. Das kann man heutzutage! Mein Umfeld, meine Familie, mein Freundeskreis, aber auch meine Kolleginnen und Kollegen bei der Arbeit haben enorm viel Verständnis für meine Situation und für die Tatsache, dass ich manchmal ein hilfsbedürftiges Häuflein Elend bin. Dafür bin ich enorm dankbar. Die meisten wissen auch, dass ein Depressiver in aller Regel nicht permanent schlecht drauf ist und schwermütig in den Seilen seines emotionalen Boxrings hängt. Wer mich kennenlernt, trifft oft erst mal den offenen und sendungsbedürftigen Menschen, der unterhalten will. Wenn ich in einem meiner schlechteren Momente erkläre, warum ich gerade so ruhig und zurückhaltend bin, blicke ich oft in überraschte Gesichter.

Das mit dem Erklären der eigenen Gefühlslage ist so eine Sache. Depressionen sind nicht einfach zu beschreiben. Der deutsche Komiker Thorsten Sträter hat sehr treffend zusammengefasst, wie sich Depressionen oft anfühlen.

Auch wenn das Thema präsenter ist, als in der Vergangenheit, gibt es viele Menschen, die nicht wissen, wie sie mit einem Depressiven umgehen sollen, der gerade am Tiefpunkt seiner Leistungsfähigkeit ist. Nicht aus bösem Willen, sondern aus schlichter Unwissenheit. Da hört man dann gerne Durchhalteparolen, die einem nichts nützen, sondern im schlimmsten Fall kontraproduktiv sind. «Konzentriere dich auf das Gute, das dir widerfährt», «Reiss dich zusammen, anderen geht es schlechter» oder «Beweg dich mehr, geh an die frische Luft» sind nur drei Beispiele. Mir ist bewusst, dass diese Ratschläge gut gemeint sind. Bei Depressionen sind sie leider oft das Gegenteil. Zumindest ist das bei mir der Fall. Depressionen zu haben, ist nicht eine Entscheidung, die ich getroffen habe. Genauso wenig kann ich entscheiden, keine Depressionen mehr zu haben. So sehr ich mir das in solchen Momenten auch wünschte. Ich kann mich in meinen schlechtesten Phasen lediglich auf mich konzentrieren und versuchen, irgendwie den Weg aus dem Tief zu finden.

Es gibt ein paar hilfreiche Tipps, wie man sich gegenüber einer Person mit Depressionen verhalten kann. Es hilft mir sehr:

  • Wenn ich wahrnehme, dass mein Umfeld meinen Zustand akzeptiert.
     
  • Wenn sich Menschen bei mir melden, um zu erfahren, wie es mir geht.
     
  • Wenn ich darin bestärkt werde, meine Therapie fortzusetzen oder etwas zu unternehmen, um aus dem Loch herauszukommen.
     
  • Wenn mir Leute zuhören und zumindest versuchen zu verstehen, wie sich meine Depression für mich anfühlt.
     
  • Wenn Menschen geduldig mit mir sind und mir zeigen, dass sie an meiner Seite stehen.
     
  • Wenn meine Depressionen weder heruntergespielt noch dramatisiert werden.

Allenfalls helfen diese Punkte auch dem einen oder der anderen, die im Umgang mit depressiven Menschen im eigenen Umfeld überfordert ist.

Ich danke euch aus tiefster Seele und von ganzem Herzen!

Ich hatte bisher knapp 43 Jahre lang Zeit, meine Depressionen kennenzulernen und zu versuchen, mit ihnen umzugehen. Das klappt manchmal besser, manchmal weniger gut. Habe ich fertig gelernt? Nein. Schäme ich mich manchmal für die Art und Weise, wie ich in meinen schlechten Phasen bin? Nicht manchmal, immer!

Ich bin froh und dankbar dafür, dass Depressionen ein Thema sind, über das nicht mehr geschwiegen wird. Unendlich dankbar bin ich für all die wunderbaren Menschen, die mir beistehen, wenn es mir schlecht geht. Ich danke euch aus tiefster Seele und von ganzem Herzen!

Habt ihr Depressionen? Sprecht mit jemandem darüber und sucht euch Unterstützung. Ihr werdet verstanden und bekommt Hilfe!

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