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David Beckhams Fussballdoku macht mich wehmütig

Jahrelang liess David Beckham seine Gegenspieler alt aussehen. Nun fühlt sich unser Autor alt wegen einer Dokumentation über Beckhams Leben.

01.11.23 - 16:30 Uhr
Zwei Stilikonen und ein Ex-Fussballer: das Ehepaar Beckham bei der Premiere der Doku «Beckham».
Zwei Stilikonen und ein Ex-Fussballer: das Ehepaar Beckham bei der Premiere der Doku «Beckham».
Bild Tolga Akmen/EPA

«OK Boomer» versus «Wa hesch denn du scho erlebt du huere Banane?» Im Blog «Zillennials» beleuchten Vertreterinnen der Generation Z, Nicole Nett und Anna Nüesch, und die Millennials David Eichler und Jürg Abdias Huber in loser Folge aktuelle Themen. Im Idealfall sorgen die vier damit für mehr Verständnis zwischen den Generationen. Minimal hoffen sie, für etwas Unterhaltung, Denkanstösse und den einen oder anderen Lacher zu sorgen.

Seit einigen Wochen läuft auf dem Streamingdienst Netflix die Doku «Beckham». Sie erzählt die Geschichte von David Beckham, der den wohl begnadetsten rechten Fuss der jüngeren Fussballgeschichte hat(te). Ich habe mir die Doku angeschaut, auch wenn Beckham für Vereine gespielt hat, die mir nicht sonderlich nahe sind.

Die Doku hingegen hat mich gepackt. Für mich war Beckham zwar immer ein begnadeter Fussballer. Gleichzeitig war er aber auch der Fussball-Posterboy, mit dem ich eigentlich recht wenig anfangen konnte. Er kam irgendwann mit Posh-Spice zusammen, die mir von den Spice Girls am besten gefiel. Danach war er neben dem Fussballplatz (von mir gefühlt) mehr die Ken-Anziehpuppe eben jener Victoria. David Beckham hat damals den Begriff der «Metrosexualität» geprägt. Dieser bezeichnet, so man Wikipedia glaubt, einen extravaganten Lebensstil heterosexueller Männer, der auch Eigenschaften zulässt, die traditionell als «eher weiblich» eingeschätzt wurden. Mode und Kosmetik spielen in diesen klischierten Vorstellungen des «Weiblichen» eine ausgeprägte Rolle. Beckham hatte ein stets ausserordentlich gepflegtes Auftreten, extravagante Frisuren und eine ausgesuchte Garderobe. Er setzte (Mode-)Trends und spielte in den Spalten der Klatschpresse genauso eine Rolle wie in der Sport- und Modewelt. Ich bewunderte ihn für sein Können auf dem Fussballplatz und fand das Getue um ihn, sein Privatleben und sein Auftreten eher affig. Unsympathisch fand ich ihn dabei nie. Emotional wurde ich bei anderen Fussballern.

Nun habe ich mir also die Beckham-Doku angeschaut und sie hat mich fasziniert. Sie erzählt die Geschichte des Arbeiterkindes aus einem Londoner Vorort, dessen Vater glühender Fan von Manchester United ist und mit seinem Sprössling im Gärtchen hinter dem Haus Fussball trainiert. Sie erzählt die Geschichte von David, der dann tatsächlich beim Herzensverein seines Vaters landet und dort auf seinen Fussballziehvater Sir Alex Ferguson trifft, erfolgreich wird, nach einem Fehler bei der Weltmeisterschaft 1998 von ganz England gehasst wird, sich fängt und dann seinen Heimatverein verlässt, um dem weissen Ballett Real Madrids beizutreten.

Damals kaufte Reals Präsident alles zusammen, was im Fussball Rang und Namen hatte. Leute in meinem Alter erinnern sich: Zidane, Ronaldo (der brasilianische), Luis Figo und Roberto Carlos gehörten neben Beckham zu den «Galaktischen», wie die Mannschaft damals auch genannt wurde. Beckham war Teil einer Entwicklung, der viele Fussballfans heute kritisch gegenüberstehen und die ihren vorläufigen Peak in der vergangenen Transferperiode erreicht hat, in der saudische Klubs Spieler zusammengekauft haben, als wären sie in einer Fussballsimulation auf der Konsole und nicht im echten Leben.

Zwischen Beckhams Karriereschritten zeigt die Doku immer wieder Interview-Ausschnitte mit David und Victoria Beckham. Seine Fussballkarriere ist der rote Faden, die Geschichten links und rechts davon die zusätzliche Würze. Man lernt den mittlerweile 48-Jährigen aber auch als Hausmann mit Putzfimmel und (durchaus sympathischen) Ordnungswahn kennen. Man sieht ihn als Bienenzüchter und beobachtet ihn dabei, wie er das Grillieren eines einzelnen Pilzes zelebriert, als wäre es ein in Blattgold gehülltes Stück Einhorn-Filet.

Kritisch hinterfragt wird Beckham in dieser Doku nicht. Sein Leben wurde während seiner Aktivzeit und auch danach vielfach durchleuchtet. Auch jetzt, nach Erscheinen der Doku meldet sich die Frau wieder zu Wort, mit der Beckham eine Affäre nachgesagt wurde. Die Affäre wird in der Doku nur gestreift und nicht vertieft behandelt. Sein Engagement für die Fussballweltmeisterschaft in Katar bleibt ebenfalls komplett aussen vor. Es geht in der Doku nicht darum zur kritisieren, sondern darum, Beckhams glamouröses und mitunter auch herausforderndes Leben im Fussball und als Person der Öffentlichkeit zu beschreiben. Und das tut die Miniserie.

Ich habe die vier Folgen (jeweils länger als eine Stunde) mit wachsender Wehmut geschaut. Ich habe die Beckhams in einem neuen Licht erlebt und auch erfahren, wie schwierig das vordergründig so glamouröse und einfache Leben des Paars und seiner Kinder manchmal war. Gleichzeitig habe ich mal wieder bemerkt, wie alt ich mittlerweile bin. Ich kann mich noch sehr gut erinnern an den Trubel um Beckhams Wechsel zu Real Madrid, den späteren Schritt zu LA Galaxy, die Leihe zur AC Milan und dann sein Karriereende bei Paris Saint Germain. Als wäre es erst vor Kurzem gewesen.

Dann aber die Einsicht: Der Mann hat vor 20 Jahren zu Real gewechselt und seinen Rücktritt vor rund zehn Jahren gegeben – und ist irgendwie immer noch omnipräsent. Und ich? Ich merke, wie alt ich bin und werde schwermütig, wenn ich Beckhams Geschichte vom Sofa aus nochmals Revue passieren lasse.

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