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Kondome, Tiktok und Goldmedaillen

Dario Gruber* über die Vorfreude auf die Olympischen Spiele

22.07.21 - 04:30 Uhr
KEYSTONE

Im Blog «Anpfiff» berichten Journalistinnen und Journalisten jede zweite Woche aus der Südostschweiz-Sportredaktion.

Morgen Freitag werden in Tokio die 32. Olympischen Sommerspiele eröffnet. In Japan, dem Land des Lächelns, ist vielen Leuten das Lachen vergangen. Viele Japanerinnen und Japaner wollten aufgrund der pandemischen Lage die zweiten Olympischen Sommerspiele in Tokio nach 1964 verbannen. Das sture Festhalten an Olympia hat die Menschen in Japan verärgert.

Die Realität ist aber folgende: In Tokio beginnt am Freitag der bedeutendste Sportanlass. Die Olympischen Spiele, die erstmals ohne Zuschauerinnen und Zuschauer stattfinden und in die Geschichte eingehen werden. IOC-Präsident Thomas Bach sagte kürzlich: «Tokio wird die am besten vorbereitete Olympiastadt aller Zeiten sein.» Da muss ich ihm recht geben. An welchem anderen grossen Sportereignis werden derart viele Kondome am Laufmeter verteilt wie an Olympischen Spielen? Die Verantwortlichen müssen sich eigentlich doch gar keine Sorgen machen, schmusen ist ja verboten.

Das Einzige, was ich vor dem Fernseher sehen will, sind die Emotionen und Geschichten, die nur der Sport bietet. Ich würde gerne wieder vor dem Bildschirm mitfiebern, wenn beispielsweise Nino Schurter erneut um die Goldmedaille kämpft, oder die Entscheidungen in der Leichtathletik miterleben. Ich habe meine Radio-Redaktionskolleginnen und -kollegen gefragt, auf welche Sportarten sie sich am meisten freuen. Hoch im Kurs sind die 100- und 200-Meter-Sprintrennen in der Leichtathletik, Schwimmen, Beachvolleyball und Mountainbike. Mein Chef Jürgen Törkott erwähnte übrigens die Entscheidungen im Springreiten als äusserst interessant. Ihn faszinieren die Genauigkeit, Präzision und Schnelligkeit. Auch wenn ich mich noch nie so richtig mit Sportschiessen beschäftigt habe: Die Bilder von einer hoch emotionalen Heidi Diethelm Gerber, die vor fünf Jahren in Rio die Bronzemedaille gewann, habe ich noch immer im Kopf. Ich werde bestimmt wieder reinzappen, wenn die Sportschützinnen und Sportschützen im Einsatz sind.

In Tokio feiern gleich vier Sportarten ihr olympisches Debüt. Im Karate, Sportklettern, Skateboarding und Surfen werden erstmals olympische Medaillen verliehen. Ausserdem feiert Baseball/Softball sein Comeback, nachdem es bereits 2008 in Peking olympisch war. Die Idee ist, die Olympischen Spiele für das jüngere Publikum attraktiver zu gestalten. Dies mag gut und recht sein. Wenn aber – wie an der Fussball-EM – Tiktok derart die Werbetrommel rührt, geht das in eine falsche Richtung. Das jüngere Publikum interessiert sich leider immer öfter für Tiktok und Videospiele. Die guten alten Zeiten, als man auf dem Pausenplatz noch Fussball, Volleyball oder «Fangis» spielte, scheinen langsam, aber sicher der Vergangenheit anzugehören. Wenn das so weitergeht, wird in ein paar Jahren eine Tiktoker-Delegation an der gigantischen Eröffnungsfeier ins Stadion pilgern. Wer will das schon sehen? Ich definitiv nicht.

Wenn wir uns so weiterentwickeln, werden uns künftig Athleten wie Nino Schurter und Laurien van der Graaff am Laufmeter ausgehen. Denn eine Studie von Graubünden Sport hat aufgezeigt, wer einst in seiner Sportart zur Weltspitze gehören möchte, trainiert in seiner Jugend am besten polysportiv. Denn das haben die gegenwärtigen Olympiasiegerinnen und -sieger auch getan. Obwohl ich kein «Gold-Plämpu» gewonnen habe, darf ich mich auch glücklich schätzen, eine polysportive Kindheit erlebt zu haben. Also geht raus an die frische Luft, auch wenn es nur für eine Schnitzeljagd durchs Dorf ist – denn auch da zählt schliesslich der olympische Gedanke.

Dario Gruber ist Leiter Sport bei Radio Südostschweiz.

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