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Rehrücken aus Österreich, Hirschpfeffer aus Neuseeland

Was in der Wildsaison in den Restaurants auf die Teller kommt, stammt nur in Ausnahmefällen aus den heimischen Wäldern. Die Bündner Jäger könnten den Hunger nach Wild nicht decken – und behalten ihre Beute ohnehin lieber selbst.

Südostschweiz
24.09.10 - 02:00 Uhr
Zeitung

Von Stefan Bisculm

Chur. – Als der Grossvater des Landquarter Fleischgrosshändlers Jann Rageth vor über 80 Jahren anfing mit Wildfleisch zu handeln, stammte alles Wild noch aus den heimischen Wäldern. Der einzelne Jäger schoss damals durchschnittlich mehr Tiere als heute, und weil er noch keine Tiefkühltruhe im Keller stehen hatte, musste er seine Beute schnell verkaufen.Ganz anders heute. Ein Bündner Jäger erlegt durchschnittlich noch ein bis zwei Tiere pro Jagdsaison und behält diese in aller Regel für sich. Der Handel mit einheimischem Wildfleisch ist gemäss Jann Rageth minimal. So wird jährlich etwa zweimal mehr Wild in die Schweiz importiert, als in den Schweizer Wäldern erlegt wird.

3000 Tonnen Wild aus Österreich

Die Rageth Comestibles AG in Landquart beliefert viele Gastrobetriebe in Graubünden mit Wildspezialitäten. Um die Nachfrage decken zu können, verkauft sie Rehfleisch aus den Wäldern Österreichs und Hirschfleisch aus Wildfarmen in Neuseeland. Im östlichen Nachbarland werden die Wildtiere auf der Revierjagd erlegt. Dank ihres Jagdsystems können die österreichischen Jäger viel zuverlässiger liefern. Rund 3000 Tonnen Wildfleisch wird jährlich aus Österreich in die EU und die Schweiz exportiert.Bezüglich Qualität des Wildfleischs aus Österreich hat Jann Rageth absolut keine Bedenken. Da jede österreichische Jagdgesellschaft per Gesetz dazu verpflichtet sei, einen Kühlraum in ihrem Jagdrevier zu betreiben, seien die hygienischen Voraussetzungen gar besser als bei den Bündner Jägern. «Beim Rehfleisch aus Österreich weiss ich, dass die Tiere in freier Wildbahn geschossen wurden und in Sachen Produktehygiene hundertprozentig unseren Anforderungen entsprechen», versichert Rageth.

Schweizer wollen die edlen Stücke

Ein anderer Grund, weshalb sich viele Restaurantbesitzer nicht auf die Fleischlieferung einheimischer Jäger verlassen können, sind die Vorlieben ihrer Gäste. Diese verlangen nämlich vor allem nach Rehrücken und Filets. «Wenn ein Grandhotel im Engadin für 200 Gäste eine dieser Spezialitäten auf die Karte setzt, braucht es Fleisch von rund 30 Tieren. Das kann kein Jäger anbieten.»Die weniger edlen Fleischstücke werden gemäss Rageth übrigens meist in Österreich verzehrt. Im Gegensatz zur Schweiz gibt es dort einen Markt dafür und genügend Abnehmer. Vor allem für Gulasch ist das würzige Wildfleisch heiss begehrt.

Unzuverlässige Bündner Jäger

Fleischhändler Rageth beliefert unter anderen auch Klaus Blümel, Chefkoch im Churer Restaurant «Zum Kornplatz», das für seine Wildspezialitäten bekannt ist. Wie Blümel erklärt, hatte er früher nur einheimisches Wild auf seiner Karte. «Doch auf die Dauer ging das nicht mehr, weil die Jäger einerseits zu wenig und andererseits zu unzuverlässig lieferten.» Heute kommt sein Wildfleisch zu 80 Prozent aus Österreich.Allen Widrigkeiten zum Trotz setzt Fritz Wyss in seiner Metzgerei in Trun ganz auf einheimisches Wildfleisch. Wer bei ihm Hirschplätzli kauft, kann auf Wunsch erfahren, wo das Tier geschossen wurde und wie der Jäger heisst. Dafür kann es passieren, dass Wyss wie im letzten Jahr die ganze Saison kein Rehfleisch im Angebot hat. Die aktuelle Jagdsaison sei jedoch sehr gut angelaufen und das Angebot entsprechend gross, sagt Wyss. «Die Kunden schätzen es, dass das Fleisch aus dem Tal kommt. Sie reisen dafür sogar aus dem Unterland an.»

Coop und Migros importieren

Kein Wunder. Immerhin ist Bündner Wild eine Exklusivität, die auch bei den Grossverteilern Coop und Migros nicht erhältlich ist. Migros bietet an der Fleischtheke Frischwild aus Österreich an, was 20 Prozent der verkauften Menge ausmacht. Der Rest des Frischwilds stammt aus Tschechien und wird abgepackt in den Kühlregalen feilgeboten. Coop bezieht sein Hirschfleisch aus Neuseeland und Reh aus mehreren europäischen Ländern.

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