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Sozial engagiert in Chur – «Ich öffne keine Bettelbriefe»

In St. Moritz ist er bekannt als «der Figaro», in Chur steht Jürg Oschwald für Drogensüchtige am Grill.

Bündner Woche
27.12.23 - 04:30 Uhr
Menschen & Schicksale
Jeden zweiten Mittwoch steht Jürg Oschwald im Churer Stadtpark hinter dem Grill.
Jeden zweiten Mittwoch steht Jürg Oschwald im Churer Stadtpark hinter dem Grill.
Annina Hartmann

von Annina Hartmann

Würste, Fischstäbchen und Maiskolben liegen auf dem Grill. Es ist November. An diesem Nachmittag zieht ein kalter Wind durch den Stadtpark. Jürg Oschwald, der ehemalige «Figaro von St. Moritz», trotzt der Kälte und steht hinter dem Grill. Seit gut sechs Jahren grilliert er dort für die «Stadtparkbewohnerinnen und Stadtparkbewohner». Jeden zweiten Mittwoch im Monat, ausser er sticht gerade mit seinem Schiff in See. Dann übernehmen andere die Grillzange. Wir haben mit Jürg Oschwald über die Gründe seines Engagements gesprochen.

Jürg Oschwald, ob Regen, Schnee oder Sonnenschein. Wenn Sie nicht gerade auf dem Schiff in See stechen, stehen Sie jeden zweiten Mittwoch hier im Stadtpark hinter dem Grill und verteilen Würste an Randständige. Wieso?

Jürg Oschwald: Ich war im Winter in St. Moritz unterwegs und habe am See Werner Erb getroffen. Er spielte gerade auf seinem Alphorn und wir kamen ins Gespräch. Er erzählte mir, dass er hier im Stadtpark Alphorn unterrichte. Der Unterricht ist gratis, jedoch muss jeder und jede etwas für die Drogensüchtigen mitbringen. Für mich zuerst etwas komisch. Trotzdem bin ich dann an einem Mittwoch mal in den Stadtpark und da hat mir Werner erklärt, dass sich hier die Drogensüchtigen treffen und er lange im sozialen Bereich tätig war. Da er auch nach seiner Pensionierung diese Menschen nicht im Stich lassen will, hat er dieses Projekt ins Leben gerufen. Gratis Unterricht, dafür den Drogenabhängigen etwas Gutes tun. Ja und da ich gerne grilliere, ist diese Idee entstanden. Alphorn spiele ich zwar nicht mehr wirklich, stehe aber noch immer hinter dem Grill.

Und die Idee kam von Anfang an gut an?

Ja, die Idee stiess auf Anklang. Einziges Problem war das Grillverbot in Churer Pärken. Ich habe jedoch mit der Polizei verhandelt und so habe ich die Bewilligung unkompliziert erhalten.

Wie reagierten die Drogensüchtigen? 

Sehr wohlwollend. Ich treffe diese Menschen oft auch ausserhalb des Parks an und sie fragen dann, ob ich am Mittwoch wieder im Stadtpark sei. Schön sind auch die Situationen, in denen jemand dir so tief in die Augen schaut und von ganzem Herzen Danke sagt. Solche Momente berühren.

Erfahren Sie hier mehr Dankbarkeit als sonst?

Mehr oder weniger? Schwer zu sagen. Es ist einfach sehr direkt. Gerade letzthin war ich mit einem Coiffurekollegen im Ausgang.
Als wir vor einem Lokal Zigarren rauchten, traf ich einen Drogenabhängigen vom Stadtpark. Dieser erzählte meinem Kollegen, was für ein guter Mensch ich sei. Das ist so lieb und das ist so wie der Lohn für das Ganze, was ich hier mache.

Die Fischstäbchen wurden von Ueli dem Grillassistenten mitgebracht, die Würste und Maiskolben hat Grillmeister Jürg Oschwald gekauft.
Die Fischstäbchen wurden von Ueli dem Grillassistenten mitgebracht, die Würste und Maiskolben hat Grillmeister Jürg Oschwald gekauft.

Mit der Zigarre im Ausgang und gleichzeitig trifft man Sie hier im Stadtpark. Grosse Gegensätze also. Ihr Leben in St. Moritz mit den Stars und Sternli und hier in Chur mit Drogensüchtigen. Sie könnten also auch einfach auf Ihrem Schiff sein und es sich gut gehen lassen. Warum machen Sie etwas Soziales?

Ich bin der Meinung, wenn man im Leben Glück haben darf, sollte man das  auch weitergeben Wer weiss, im welche Richtung es dich im Leben treibt. Darum finde ich, dass wir auch die Verantwortung tragen sollten für Menschen, die es nicht gut haben.Wenn man das nicht kann oder will, dann ist man fehl am Platz.

Zahlen Sie die Würste aus eigener Tasche?

Ja, oft kaufe ich Aktionen. Da es sich jedoch rumgesprochen hat, dass ich jeweils am Mittwoch im Stadtpark grilliere, sprechen mich auch Menschen an und spenden etwas. Viele finden es gut, was ich mache, würden es jedoch selber nicht machen. Wenn sie dann etwas spenden, dann kaufe ich auch mal so richtig gute St. Galler Würste. Ansonsten, wie gesagt, Aktionen. Das ist meine Spende an Bedürftige. Ich beantworte jedoch keine Spende- oder Bettelbriefe.

Mir scheint es so, dass Sie sich selber auch treu bleiben. Sie müssen sich auch nicht anpassen, sondern kommen als Jürg Oschwald in den Stadtpark, wie sie sich auch als Jürg Oschwald in den
St. Moritzer-Kreisen zeigen. Sie haben also nicht das Gefühl, sich anpassen zu müssen?

Nein, ganz und gar nicht. Ich bin, wer ich bin und mache es so, wie ich es für richtig halte.

Hier im Stadtpark kennt man Sie, innerhalb der Stadtparkmauern sind Sie vielleicht mittlerweile sogar ein bisschen einer von ihnen. Wie sind die Begegnungen mit den Drogenabhängigen ausserhalb der Stadtmauern?

Ganz am Anfang haben die Drogenabhängigen die Strassenseite gewechselt, sobald sie mich gesehen haben. Ich war dann etwas verwirrt und habe mich gefragt, ob ich etwas falsch mache. Einer hat mir dann erklärt, dass ich ja so was wie ein Promi sei und sicherlich nicht mit ihnen gesehen werden wolle. Seit ich dies jedoch dann mal im Stadtpark berichtigt habe, ist alles gut und die Leute reden ganz normal mit mir. So wie eben neulich im Ausgang.

Und wie reagiert die andere Seite? Also die Personen, die Sie noch als «Figaro von St. Moritz» kennen?

Also mein Coiffurekollege fand es sehr cool. Auch er ist kein Unbekannter und fand es einfach gut, dass ich das mache. Bei den meisten kommt auch diese Seite von mir gut an.

Und Sie machen nun so weiter, jeden zweiten Mittwoch grillieren Sie im Stadtpark?

Ja, über den Winter bestimmt. Im Frühling steche ich jedoch für sieben Monate in See. Dann übernehme Werner und Ueli das Grillieren. Wenn ich zurück bin, werde ich jedoch wieder weitermachen und im Stadtpark den Grill so richtig einheizen.

Auch der Grillmeister muss versorgt sein.
Auch der Grillmeister muss versorgt sein.
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