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Schicksalsschlag Brustkrebs: Die Frauen vom rosa Tisch

In Chur treffen sich an Brustkrebs erkrankte Frauen zum Stamm an der Tavola Rosa – ein Besuch.

Bündner Woche
25.11.23 - 04:30 Uhr
Menschen & Schicksale
Gehen mutig voraus: Christina Prevost, Giada Giuliano und Ingrid Kobler (von links).
Gehen mutig voraus: Christina Prevost, Giada Giuliano und Ingrid Kobler (von links).
Susanne Turra

Von Susanne Turra

«Dann bist du jetzt also auch eine von denen.» Das ist der erste Gedanke einer 47-jährigen Frau nach ihrer Krebsdiagnose vor fünf Jahren. Sie wird geheilt und erkrankt letztes Jahr erneut. Heute Abend sitzt sie mit einer Anzahl Frauen am Stammtisch. «Du hörst das ja sonst immer nur von Aussen. Von anderen Frauen», fährt sie fort. «Du denkst nicht, dass es dich selber treffen könnte. Im Gegenteil. Du denkst immer ein bisschen leichtfertig darüber. Das würde ich nie machen lassen. Dem würde ich mich nie unterziehen. Davon bist du überzeugt. Und plötzlich bist du selber an diesem Punkt. Und du siehst, wozu du alles fähig bist. Was dein Kopf, deine Psyche und dein Körper fähig sind, zu stemmen.»

«Und du siehst, wozu du alles fähig bist»

Es ist Montagabend, der erste im November, im «Pur Suisse Bistro» in Chur. Die Frauen am langen Tisch unterhalten sich. Angeregt und ausgelassen. Wer den Raum betritt, vermutet eine Chorgruppe oder einen Sportverein beim Stamm. Weit gefehlt. Hier sitzen die Frauen mit Brustkrebs am Stammtisch. Am Rosa Tisch. Der Tavola Rosa. Langsam füllt sich die Tafel. Im Chat sind momentan 28 Frauen aktiv. Die jüngsten davon zwischen 30 und 40 Jahre alt. Das macht betroffen. «Heute haben wir 15 Frauen hier. Das ist ein Rekord», freut sich Giada Giuliano und grüsst in die Runde. «Vor eineinhalb Jahren wurde mit einem Vierertisch gestartet.» Giada Giuliano leitet den Stamm – zusammen mit den Gründerinnen Christina Prevost und Ingrid Kobler.

«Du trägst die Haare schön»

Die Frauen grüssen zurück. «Hoi Giada. Gut siehst du aus. Du trägst die Haare schön.» Lustigerweise wachsen die Haare oftmals lockig nach. Und grau. Die Betroffenen schmunzeln. Alle tragen sie die Frisur ein bisschen anders. Von üppiger Haarpracht über kurz geschorene Haare bis zur Kopfbedeckung mit einer Kappe ist alles zu sehen. Giada Giuliano trägt eine freche Kurzhaarfrisur mit dunklen Locken. «Als ich das erste Mal hierher gekommen bin, noch vor der Chemotherapie, habe ich lange Haare gehabt», erinnert sie sich. «Die Frauen und auch die Angestellten hier haben den ganzen Prozess miterlebt. Von langen Haaren zu keinen Haaren zu nachgewachsenen Haaren.» Haare. Ein Thema am Stamm. Klar.

Voller Leben: Die Frauen an der Tavola Rosa tauschen sich aus.
Voller Leben: Die Frauen an der Tavola Rosa tauschen sich aus.

Zeit für ein paar Zahlen. Und ein bisschen Theorie. Die Idee von Tavola Rosa ist nicht neu. Seit über vier Jahren bietet die Organisation «Europa Donna Schweiz» Stammtische für betroffene Frauen im ganzen  Land an. In Zürich, Bern, St. Gallen, Aarau, Lugano/Mendrisio. Und seit April 2022 auch in Chur. «Europa Donna Schweiz» wird 2003 gegründet und ist eines von 47 Mitgliedern des europäischen Netzwerkes. Brustkrebs (Mammakarzinom), eine Tumorerkrankung der Brust, ist die mit Abstand häufigste Krebserkrankung bei Frauen weltweit. 30 Prozent aller Krebsdiagnosen bei Frauen entfallen auf Brustkrebs. In der Schweiz erkranken jährlich rund 6500 Frauen daran, wobei 80 Prozent der Brustkrebspatientinnen über 50 Jahre alt sind. Auch Männer sind betroffen. Mit nicht einmal einem Prozent der Diagnosen kommt Brustkrebs bei ihnen aber sehr selten vor.

Googeln ist keine gute Idee

Zurück an den Stammtisch. An der langen Tafel geht es lebendig zu und her. Es wird ausgetauscht, diskutiert, zugehört. Ernst und nachdenklich. Aber auch fröhlich und humorvoll. Die Frauen reden über ihre Diagnosen. Ihre Therapien. Ihre Hoffnungen. Ihre Ängste. Aber auch über Ferienplanung. Familie. Arbeit. Und Weiterbildung. Sie haben ein Leben. Und sie führen ein Leben. Mit Krebs. Trotzdem. Krebs ist nicht gleich Krebs. Und Brustkrebs ist nicht gleich Brustkrebs. Die Frauen mussten und müssen lernen, ihn zu verstehen. Östrogen-negativ. Triple-negativ. Inflammatorisch. Kurativ. Palliativ. Genetisch. Expander. Ultraschall. Wieder fallen viele Begriffe rund um den Tisch. Solche, die es zu begreifen gilt. Zeit zu googeln. «Das ist keine gute Idee», mahnt eine Betroffene. «Wenn du Doktor Google nach deiner Krebserkrankung befragst, dann bist du tot.» Die Journalistin lässt es bleiben. Trinkt Tee. Und hört zu. «Heute wird vor allem brusterhaltend operiert», weiss eine Erkrankte. «Es soll so wenig wie möglich und so viel wie nötig entfernt werden.» Auch darüber haben die Frauen ganz unterschiedliche Meinungen. Manche finden die radikale Entfernung besser. Andere schwören auf die Erhaltung. Auch die 47-jährige Frau, die letztes Jahr erneut erkrankt ist, beteiligt sich angeregt am Gespräch. Sie hat gelernt, mit den vielen unerwünschten Nebenwirkungen der Therapien umzugehen und versucht, jedem Tag etwas Gutes abzugewinnen. Sie schaut nach vorne. Und sie ist nach wie vor ein fröhlicher und lebensbejahender Mensch. «Auch, oder gerade, in schwierigen Zeiten versuche ich, in jedem Tag positive Momente zu finden», betont sie und dreht sich zu ihren Kolleginnen um. Den Frauen vom Rosa Tisch. Es gilt, das bevorstehende gemeinsame Weihnachtsessen zu planen.

Tavola Rosa Chur: Jeden ersten Montag im Monat von 17 bis 19 Uhr im «Pur Suisse Bistro» an der Bahnhofstrasse 4. Informationen unter www.europadonna.ch

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